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Lectra hat den gesamten Prozess der Produktentwicklung digitalisiert – und so die industriellen Voraussetzungen für eine personalisierte Modekreation geschaffen.

Den Verbraucher an der Marke teilhaben lassen

Die Digitalisierung ist in einem rapiden Tempo fortgeschritten und hat die Gesellschaft radikal verändert. Mittlerweile gibt es mehr Smartphones als Population weltweit und alle menschlichen Aktivitäten sind vom Internet beeinflusst – vor allem von den Sozialen Medien.

Das Internet hat zu einer Massenpersonalisierung geführt – und damit die Art der Kundenansprache verändert. Marketing, Dienstleistungen und Customer Relations Management sind darauf ausgerichtet, den Verbraucher an der Marke teilhaben zu lassen, sagt Craig Crawford. Er hat Marken wie Burberry auf dem Weg in die Digitalisierung begleitet. Auf der Konferenz des französischen Technologie-Unternehmens Lectra referiert er über Personalisierung - als höchste Form individuellen Ausdrucks. Ermöglicht wurde diese durch Third-Party-Data über Konsumierende, deren vergangenes Verhalten sowie deren direkten Input. Crawford sieht in Daten und Personalisierung die zentralen Disruptoren der Gegenwart.

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Craig Crawford © Lectra

Das Internet und vor allem die Sozialen Medien sind der Platz, an dem Konsumierende an der Marke teilhaben können. Bei Burberry arbeitete Crawford mit der damaligen CEO Angela Ahrendts, die sagte: „If we want to speak with our customers we have to speak in their language. And their language became rapidly digital.“ Allerdings konzentrierte sich die Digitalisierung auch bei Burberry lange nur auf die Kommunikation. Crawfords Aufgabe war es, die Marke, die nach außen hin digitalisiert schien, auch intern auf die Digitalisierung einzuschwören. Die Technologie war schon da, sie sollten sie einfach nutzen, so der Experte.
 

In der Mode ist das Ideal der Personalisierung das Zurück zur Maßanfertigung. Ein Service, das in der Herstellung von Männerbekleidung auch tatsächlich wiederbelebt wurde. Allerdings mit neuen Mitteln: Die Körpermaße werden berührungslos via 3D-Bodyscan Scan erfasst und die Fertigung der Kleidungsstücke erfolgt innerhalb von zwei Wochen in Produktionsbetrieben in China. Eine einfacher realisierbare Form von Personalisierung wurde mit der geschmacklichen Anpassung von Produkten gefunden. Bei Burberry durfte 2010 jeder Kunde seinen eigenen Trenchcoat konfigurieren. Die abzuwandelnden Features ergaben in Summe zwölf Millionen Varianten.


Fashion on demand

Das Problem an personalisierten Produktionsverfahren in der Modeindustrie: sie sind langwierig und wenig nachhaltig.  Lectra forscht schon seit 2007 an Lösungen für die Industrie 4.0. Die Konferenz markierte den Launch der ersten digitalen Lösung für Personalisierung. Fashion on demand, so der Titel der Software, individualisiert und automatisiert den Herstellungsprozess von Maßanfertigungen und Kleinserien. Die Technologie richtet sich an Designabteilungen und Produzenten im Sektor Luxusmode. Unter anderem war es Mariam Benissi aus der Produktentwicklung von Balenciaga, die  auf der Konferenz über ihre Erfahrungen mit Technologien von Lectra sprach.

Fashion-on-Demand ist nicht die erste Industrie 4.0-Lösung von Lectra. Die Basis wurde mit Kubix Link gelegt; eine Software, die an industrie-übergreifend eingesetzte Product Lifecycle Management (PLM)-Systeme anknüpft, aber exklusiv für die Mode-Industrie entwickelt wurde. Kubix Link ermöglicht Unternehmen ihr gesamtes Ökosystem an Daten einzusetzen und den Produktionsprozess zu präzisieren und zu beschleunigen.

Kollaboration

Die Plattform vereint alle produktbezogenen Aspekte – von der Konzeption bis zum Verkauf – und ist auf eine Rationalisierung der Kollaboration von Teams angelegt. Der Kreationsprozess wird in seiner Gesamtheit transparent und in allen Phasen für alle Beteiligten einsehbar beziehungsweise mit anderen Mitarbeitern teilbar. Social Media-Tools erleichtern die Kommunikation interner und externer Teams. Jeder einzelne Arbeitsschritt wird dokumentiert und kann direkt von der Kommunikationsabteilung übernommen werden – und selbst für die Produktbeschreibung im Online-Shop genutzt werden. Last but not least können neue Modelle direkt aus Kubix Link in den Sozialen Medien gepostet werden.

Visualisierung

Auf Kubix Link folgte Modaris, eine Software zur Produktentwicklung und Mustererstellung. Die Software hat ein Kundenbefragungstool integriert, bildet die Styles in 3D ab – und berücksichtigt auch die Planung des Stoffverbrauchs beziehungsweise -einkaufs. Entscheidender Vorteil ist die Visualisierung des Prozesses – und dabei vor allem das virtuelle Prototyping in 3D, das die zeit- und materialintensive Produktion von physischen Mustern reduziert. Viele Schnitt- und Konstruktionsprobleme zeigen sich schon in der 360 Grad-Ansicht. Durch eine Zweiwege-Verbindung zwischen dem 2D-Schnitt und der 3D-Simulation kann man zwischen den Umgebungen wechseln und Korrekturen einfach durchführen.

Auch der Schnittzeichenprozess ist enorm vereinfacht. Schnitte werden automatisch in die verschiedenen Größen gradiert. Von Vorteil ist dies vor allem für globale Unternehmen, die mit länderspezifisch variierenden Schnitten arbeiten.


Kalkulierung

Auf der Konferenz ging es um Quick Estimate, das neueste Tool von Modaris, eine Cloud-Anwendung, welche die Berechnung der notwendigen Materialmengen direkt in der Modaris-Umgebung ermöglicht. Das gibt Schnittentwicklern die Flexibilität, Änderungen schnell und kosteneffizient einzuarbeiten. Das Material macht oft 60 bis 70 Prozent der Kosten eines Kleidungsstücks aus. Außerdem verhindert die exakte Schätzung Reststoffe, die zu umweltbelastendem Abfall werden. Mariam Benissi aus der Produktentwicklung von Balenciaga, sprach auf der Konferenz über ihre Erfahrungen mit Quick Estimate. Sie erklärte, dass das Programm das Problem der zahlreichen Last-Minute-Änderungen wesentlich entschärft habe. Zuvor dauerte die Berechnung des Stoffverbrauchs eine Stunde - jetzt nur mehr eine Minute. Dadurch dass die Informationen für alle zugänglich sind, bedürfe es auch keiner E-Mails mehr.  

Personalisierung

Mit der zur Konferenz gelaunchten Software Fashion on demand adressiert Lectra den Markt der Personalisierung. Produkte können automatisiert auf individuelle Kundenwünsche abgestimmt und produziert werden. Die Plattform integriert mit Design und Schnitt die gesamte Produktentwicklung - und steuert zusätzlich den intelligenten Zuschnitt. Der Prozess ist cloudbasiert und  die Architektur der Software in der Lage, enorme Datenmengen zu transportieren. Auch Unternehmen wie Spotify nutzen diese Architektur. In der Datensicherheit vertraut Lectra auf den Geschäftspartner Microsoft – nutzt aber zusätzlich noch Verschlüsselung.

Beschleunigung

Unternehmen wie Prada bieten die personalisierte Modekreation in ihren Shops bereits bei Herrenanzügen unter dem Titel Made to Measure an. Lectra konnte den Prozess, der zuvor zwei Stunden dauerte, auf zwanzig Minuten reduziert werden. Im automatisierten Zuschnitt werden die Schnitt-Teile virtuell in möglichst ökonomischer Art angeordnet. Bei gemusterten Stoffen wie etwa Karo berücksichtigen die Algorithmen auch die Übereinstimmung der horizontalen Linien in den Seitennähten. Der Zuschnitt erfolgt über die angeschlossene Hardware: den Cutter Vector, der Stofflagen einzeln zuschneiden kann – unabhängig vom Stoffcharakter.

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Demo: Lectra Software Fashion-on-Demand

Anwendung

In der französischen Groupe Marck ist Fashion-on-Demand schon in Verwendung. Das Unternehmen fertigt Uniformen für die französische Polizei, Armee und Fluglinien sowie Arbeitskleidung für Fast Food-Ketten nach Maß.

Alle Software-Lösungen des Technologiepartners für textil- und lederverarbeitende Unternehmen zielen auf mehr Agilität in der Modeproduktion Ein personalisierter Produktionsprozess ermöglicht es Herstellern, nur mehr das zu fertigen, was Konsumierende wirklich kaufen möchte. Eine Mode-Industrie ohne Überproduktion würde die Umwelt enorm entlasten.

Text: Hildegard Suntinger

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