BioCouture
BioBomber Jacket by Suzanne Lee © BioCouture

Keimende Kleidung

Seit einigen Jahren macht die britische Modedesignerin Suzanne Lee mit ihrem Forschungsprojekt "BioCouture" Furore: Sie verwendet keine herkömmlichen Stoffe, sondern Zellulose, die sie im Labor aus einer Nährlösung unter Einsatz von Bakterien erzeugt. Diese Zellulose schneidert sie entweder auf klassische Weise oder sie zieht sie in nassen Zustand auf Formen, und erst im Trocknen entsteht nahtlos das eigentliche Stück - etwa ein Kleid. Das alles funktioniert ohne jede Chemie mit rein natürlichen Ingredienzien wie etwa gesüßtem grünen Tee. In ihrer BioCouture-Kollektion zeigt Suzanne Lee mittlerweile zahlreiche Beispiele "gewachsener" Kleidungsstücke.

Auf dem Green Lab-Symposium für Sustainable Design in Berlin nahm Daniel Braunschweig für AUSTRIANFASHION.NET die Gelegenheit wahr, mit Suzanne Lee zu sprechen.


Es gibt eine Reihe von Entwicklungen, die Einfluss auf Design haben wie Biomimikry, Nanotechnologie oder in Ihrem Fall organisch gewachsene Materialien. Wie schätzen Sie den Einsatz von Technologie in Bezug auf Mode ein?

Aus der Sicht einer Modedesignerin betrachtet, würde ich sagen, dass niemand an einer Technologie interessiert ist, wenn das Kleidungsstück nicht das bietet, was wir erwarten. Wir erwarten immer noch bequeme Dinge, die funktionieren. Wir erwarten Eigenschaften, die ein Kleidungsstück normalerweise hat. Mode wird keinen Erfolg haben, wenn sie von Ingenieuren entwickelt wird. Sie müssen die Technologie in die Hände von kreativen Leuten legen und nur wenn diese die Technologie auch anwenden wollen, kommt am Ende etwas heraus, das die Konsumenten kaufen. Kleidung soll bequem sein. Sie darf einen nicht zwingen, sich damit zu beschäftigen. Jede neue Technologie muss sozusagen unsichtbar sein: Wir müssen die Vorteile erkennen, aber es darf nicht einen eigenen Umgang erfordern.


Suzanne Lee

Suzanne Lee

Sie sind in ersten Linie Modedesignerin. Jetzt haben Sie BioCouture begründet. Was war der Auslöser, eine solche Idee nicht nur theoretisch zu entwickeln, sondern auch ganz praktisch in einer Kollektion umzusetzen?

Ich habe mich mit einem Biologen unterhalten, der mich auf die Idee brachte, ein Kleid quasi natürlich "wachsen" zu lassen. Das war eine so fantastische Vorstellung, dass ich es einfach ausprobieren wollte. Denn ich wusste zwar, wie man ein Kleid macht, das habe ich gelernt. Aber wie sollte man ein Kleid "wachsen lassen"? Weil ich als Designerin Dinge erschaffe, wollte ich hier einfach herausfinden, ob ich auch so etwas erschaffen kann.

Wie genau muss man sich das denn vorstellen, wenn sie ein Stück Kleidung"wachsen lassen"?

Ich nutze Mikroorganismen - Bakterien. Und wenn man sie mit einer zuckerhaltigen Nährlösung füttert, spinnen sie Fäden. Am Ende entsteht eine Art Gewebe aus Zellulose. Das ist zunächst wie bei einer Baumwollpflanze, nur dass hier ein Faden nicht in der Pflanze auf dem Feld, sondern in einem Fermentationsprozess im Labor entsteht. Aber bei Baumwolle produziert man eine ganze Pflanze, die muss man düngen, die braucht Pestizide und am Ende erhält man einen kleinen Anteil Baumwolle, der Rest ist Abfall. Dann müssen sie die Baumwolle behandeln und verarbeiten, was viel Energie und Ressourcen verbraucht, sie müssen den Faden spinnen, den Stoff weben, zuschneiden und so weiter. Es sind sehr viele Schritte nötig bis am Ende ein Kleidungsstück entsteht.
Das Besondere an den Bakterienkulturen ist nun: Sie spinnen direkt den Faden und sie verweben sich selbst zu einem Stoff und können sich am Ende sogar selbst in etwas Fertiges verwandeln. Alle diese vielen Schritte, die sie bei der Baumwolle brauchen, sind hier in einen einzigen Prozess zusammengefasst.

Das hört sich an wie ein völlig neues Paradigma in der Herstellung von Stoffen. Ist dem so?

Ja, das ist es absolut. Ich wurde sogar ernsthaft schon gefragt, ob ich Morddrohungen erhalten habe. Aber man braucht natürlich keine Angst zu haben. Diese Technik wird Baumwolle oder Nylon oder viele der anderen Stoffe nicht ersetzen können. Das liegt schon einmal daran, dass es sich schon mal ganz anders anfühlt als dass was wir sonst gerne auf unserer Haut fühlen. Außerdem befindet sich dieses Material noch im frühen Laborstadium. Der lässt sich im großen Maßstab in der Herstellung noch gar nicht verwenden. Bis dorthin ist es noch ein langer Weg und wir sind hier erst ganz am Anfang.

Sie haben aus den Stoffen schon Stücke produziert. Erzählen Sie uns bitte etwas über ihre Kollektion aus dem neuen Material...

Zunächst einmal sind das für mich keine traditionellen Stücke einer Kollektion. Sie wurden nicht für eine bestimmte Saison produziert oder um einen neuen Trend zu begründen. Es sind ikonische Kleidungsstücke, die mit Hilfe dieses neuen Prozesses, mit dem neuen Material hergestellt wurden. Ich habe zum Beispiel drei Jacken entwickelt: Die eine mit dem Schnitt einer Jeansjacke, der andere mit dem Schnitt einer Lederjacke, und die Dritte mit dem einer Sportjacke, die von den Leuten auch sofort als sehr konventionelle Schnitte erkannt wurden. Für mich war hier vor allem interessant, die Geschichte der Herstellung erzählen zu können, der die Leute dann überrascht, wenn sie erfahren, dass es sich um "gewachsene" Kleidung handelt.

BioBiker jacket

BioBiker Jacket © BioCouture

BioDenim jacket

BioDenim Jacket © BioCouture

Wie reagieren die Leute auf diese Kollektion mit Stoffen aus Bakterienkulturen -Sagen sie "toll" oder "igitt, wie eklig"?

Beides. Wenn sie so ein Kleidungsstück ansehen, dann gibt es ja zunächst nichts, was sie abschrecken könnte, bis sie wissen, wie es gemacht wurde. Wissen sie, die Leute heiraten in weißen Seidenkleidern - und diese Seide wird von Raupen produziert. Denken sie auch ständig daran? Ich glaube, die Menschen können das mittlerweile einschätzen. Meine Stoffe werden ja sozusagen von "guten Bakterien" produziert, die etwas nützliches tun.

Wird sich das Berufsbild des Designers verändern? Müssen Modedesigner in Zukunft gleichzeitig Chemiker oder Biologen sein?

Das hoffe ich nicht. Ich bin selbst keine Wissenschaftlerin. Ich tue nicht so oder behaupte, diese wissenschaftlichen Kenntnisse zu besitzen. Vielleicht ist es gerade das einzigartige an meinem Projekt, dass ich eben keine Wissenschaftlerin bin. Was wir in der Mode machen, ist, Visionen zu erzeugen, wie die Leute sich in Zukunft vielleicht anziehen werden. Daher ist es für mich interessant, mit Wissenschaftlern zu reden und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das kann eine sehr fruchtbare Beziehung sein, aber ich denke, man kann unmöglich beides gleichzeitig machen.

Welche Trends sehen sie in der Mode aus der Perspektive ihrer Arbeit?

Es ist schon komisch hier das Wort "Trend" zu benutzen. Bei Trend denken wir meistens an sehr kurzlebige Dinge. Ich denke eher, dass ich eigentlich selber Teil eines Trends bin, der sich erst in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird. Das ist eine langfristige Entwicklung, bei der es darum geht, dass Design und Biotechnologie enger zusammenarbeiten. Einen weiteren Trend, den wir meines Erachtens in der Mode haben und bei dem ich ebenso hoffe, dass er langfristig hält, ist jener bei dem Mode und Nachhaltigkeit immer mehr Wege finden zusammenzukommen. Das ist kein Trend, wo man sagen kann es geht um die eine Form oder das eine Material; es geht einfach um die Art wie wir arbeiten. Ich glaube, mehr und mehr globale Markenhersteller und junge Designer sind wirklich daran interessiert, Mode zu produzieren die nachhaltig ist. Das ist eine große Herausforderung.

Sie haben schon einige Stücke in ihrer Kollektion gezeigt. Was können hier in Zukunft an neuen Ideen erwarten. Vielleicht doch etwas, was jeder tragen kann?

Ich würde liebend gerne etwas machen, was jeder tragen kann, aber davon sind wir leider noch weit entfernt. Was ich in kleinem Maßstab produziere, ist überhaupt nicht geeignet, um kommerziell hergestellt zu werden. Wir werden das nicht nächste Woche bei H&M sehen, es ist ein langfristiges Projekt.
Andererseits - ich würde sehr gerne mal ein Hochzeitskleid machen. Wenn ich daran denke, dass man sehr viel Geld für ein Kleid ausgibt, das dann nur einen Tag getragen wird, scheint es mir sinnvoll, hier etwas zu haben, was natürlich ist und auch biologisch abbaubar ist. Doch mein eigentliches Hauptaugenmerk liegt darauf, ein Verfahren zu entwickeln, dass irgendwann industriell anwendbar und vermarktbar ist.

Wann wird es soweit sein?

Das wüsste ich selbst gern. Es hängt davon ab wie viel Geld mir jemand gibt. Ich brauche nur ein paar Millionen Pfund und ich kann ihnen das genauer sagen.
Nein, im Ernst: Das Ganze ist noch ein akademisches Forschungsprojekt. Wir sind noch nicht mal in dem Stadium, dass wir Kapitalgeber suchen. Derzeit werden wir staatlich gefördert, dennoch kommen schon Leute auf mich zu. Viele Markenhersteller möchten etwa gerne mit dem neuen Material arbeiten. Es ist sehr spannend: Das ganze ist als Fashion-Projekt gestartet, aber es sind auch ganz andere Anwendungen denkbar.


Buch:
Fashioning the Future: Tomorrow's Wardrobe
Suzanne Lee
Verlag: Thames & Hudson (2007)

Text: Daniel Braunschweig lebt als freier Journalist in Berlin.
(Archiv 2011)

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