Wiener Bluse
© Rositta

Rositta: Protagonist der feinen Wiener Bluse

Rositta Modellwäsche wurde 1946 in einem Atelier in der Weihburggasse 4 gegründet. Spezialität war die Wiener Bluse – von Hand gearbeitet und bestickt. Bis in die 1960-er Jahre wurde das exklusive Kleidungsstück an renommierte Department Stores in Europa und Amerika geliefert.

2016 wurde das Unternehmen geschlossen.
Johann Ludwig, der Sohn der Unternehmensgründer, war 50 Jahre im Unternehmen tätig und für die Kollektionsentwicklung verantwortlich. Zwei Jahre nach Einstellung der Geschäftstätigkeit, ist er immer noch mit dem Aussortieren der Unterlagen beschäftigt, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben. Relevante Teile des Archivs gingen an die Landesinnung Mode- und Bekleidungstechnik Wien. Neben Prototypen für Kragenlösungen und Stickereien sind dort auch die Modellbücher einzusehen. Darin sind die Entwürfe der Wiener Bluse nachzuschlagen – sorgfältig von Zeichnerinnen dokumentiert.

AUSTRIANFASHION.NET gab Johann Ludwig 2018 einen Rückblick auf die erfolgreiche Unternehmensgeschichte. Das Interview fand in einem Geschäftslokal in der Wiener Innenstadt statt, das er für die Unternehmensauflösung angemietet hatte.


Die feine Wiener Bluse

„Meine Mutter war um Gestaltung, Qualität und Handwerkskunst sehr bemüht. In München erhielt sie das Goldene Handwerkszeichen, in Österreich das Staatswappen (Anm.: 1996)“, erzählt Johann Ludwig. Er zeigt Fotos, Skizzen und Muster und beschreibt die aufwändige Handarbeit, die mit der Wiener Bluse verbunden war. Knopflöcher und Saum wurden von Hand genäht und es gab Modelle, die in bis zu hundert Stunden von Hand bestickt wurden. Die Stickmuster wurden mit Blaupause aufgedruckt und nach Fertigstellung in Trichlor gewaschen.

Inspiriert vom Maison Zwieback

Vor dem 2. Weltkrieg hatte seine Mutter Margarete die Wäscheabteilung im Maison Zwieback geleitet. Das exklusive Modekaufhaus wurde jedoch im Zuge der Arisierung geschlossen. Sein Vater Johann war Professor für Geographie und Sport. Als er aus dem Russland Feldzug zurückkehrte, begann sich das Ehepaar mit der Herstellung von Modellwäsche zu befassen und gründete bald darauf das Unternehmen Rositta. Der Sohn, Johann Ludwig jun. trat 1966 ins Unternehmen ein.

Margarete Ludwig hatte das Handwerk nicht gelernt, war aber talentiert im Stecken auf der Puppe. Johann Ludwig jun. arbeitete eng mit ihr zusammen und zeichnete die Schnitte. Er schätzt, dass es von 1966 bis 2016 an die 20.000 Schnitte waren.

Couture-Ausbildung in Paris

Zuvor hatte er eine umfassende Ausbildung absolviert. Der Höheren Bundeslehr- und Versuchsanstalt Spengergasse und dem Lehrgang für Wäschewarenerzeugung in der Herbstststraße schloss er ein Jahr an der École Des Cadres Couture in Paris an. Der Lehrgang wurde von der renommierten École de la Chambre Syndicale de la Couture  angeboten und stellte eine komprimierte Version der regulär vierjährigen Ausbildung dar. Berühmte Absolventen waren André Courrège und Jean Louis Scherrer. Die Direktorin soll sogar Yves Saint Laurent ausgebildet haben. Hier absolvierte der junge Wiener innerhalb eines Jahres eine äußerst fordernde Ausbildung zum Stilisten. Von seinen 25 Mitstreitern gaben einige vorzeitig auf und nur sieben erreichten einen positiven Abschluss.

Das Programm reichte vom Entwurf über die Herstellung der Schnitte bis zur Graduierung. Jeden Donnerstag gingen die Schüler ins Louvre, um anhand eines inspirierenden Objektes eine siebzigteilige Kollektion zu entwerfen. Schnitte mussten jeweils über Nacht in Molino ausgefertigt und von Hand zusammengenäht werden. Damals gab es in Paris viele Streiks. Wenn die Elektrizitätswerke streikten, nähte Johann Ludwig in seinem kleinen Hotelzimmer bei Kerzenlicht. In lebhafter Erinnerung blieb ihm sein großes Abendkleid, das aus zwölf Metern Stoff bestand.

Ludwig: „Das war ein Ringkampf der Gegebenheiten.“

Familie Rositta Wien

Drei Generationen: Die Gründer, Johann und Margarete Ludwig mit Johann und Ingeborg Ludwig und deren Töchtern.

Zwei Generationen im Familienunternehmen

1976 trat seine Ehefrau Ingeborg ins Unternehmen ein. Sie war zuvor im Wäschekonzern Palmers beschäftigt gewesen – wo sie auch Mannequin war. Bei Rositta organisierte sie den Verkauf und arbeitete zeitweise selbst im Geschäft auf der Kärntner Straße - um Trends und Kundenwünsche zu verstehen. Mit dieser Expertise unterstützte sie ihren Mann beim Stoffeinkauf - besonders wenn es um Farben ging.

Ludwig: „Wir haben gelernt, wenn man kreativ tätig sein will, muss man die Uhr ablegen. Wir haben von sieben Uhr Morgen bis neun Uhr Abend gearbeitet. Manchmal ist es auch Mitternacht geworden, oder zwei Uhr morgens.“

Corporate Identity der Firma Rositta

In der Corporate Identity wurde der Standort Wien betont.

Die Corporate Identity wurde gleich nach Unternehmensgründung festgelegt und blieb über 70 Jahre lang unverändert: Das handgezeichnete Graphikdesign wurde auf Briefpapier und Verpackungen gedruckt. Auch die Kartons wurden damit beklebt. Urheber war der Graphiker Theo Leissert, der mit Motiven wie dem Riesenrad und dem Stephansdom Wienbezug herstellte.

Das Portal der Verkaufsräume in der Kärntner Straße 17 war von Loos-Schülern gestaltet worden. Im Krieg beschädigt, musste es nur renoviert werden. Exklusives Detail waren die abgerundeten Kanten des vier Meter hohen Schaufensterglases. Das Interieur der Geschäfte in Wien und Salzburg wurde vom jungen Architekten Dr. Karl Schwanzer geplant. Dieser wurde später durch Projekte wie die BMW-Zentrale in München, das Philips-Haus in Wien und den Österreichpavillon der Weltausstellung 1958 in Brüssel bekannt.

Die Schaufensterdekoration wechselte vierzehntägig. Johann Ludwig: „In den 1950er Jahren haben wir dreimal den Staatspreis für exzellente Schaufenstergestaltung bekommen. Meine Mutter ließ Objekte wie das Riesenrad oder den Eiffelturm aus Draht bauen. Das war ein großer Aufwand.“

Hoch-Zeit in den 1960-er Jahren

In seiner Hoch-Zeit – in den 1960er Jahren – beschäftigte das Unternehmen 100 Mitarbeiter in Wien und zusätzlich 300 Heimarbeiterinnen für Stickereien. Zweimal jährlich wurden Kollektionen mit 250 Teilen entwickelt und weltweit exportiert.

Vor dem Durchbruch der Prêt-à-Porter Ende der 1960-er Jahre waren Florenz und Rom die wichtigsten Modezentren. Rositta Modellwäsche wurde u.a. in Florenz ausgestellt und erhielt Bestellungen aus Belgien, Deutschland, England, Frankreich und dem arabischen Raum. Als ein Händler aus Texas zur Kollektionspräsentation nach Wien kam, folgten erste Lieferungen in die USA.

Der Ruf der Wiener Bluse verhallte allmählich und das Unternehmen Ludwig ging zur Kreation feiner Abendblusen über. Diese wurden mit Spitzen aus Vorarlberg und der Schweiz dekoriert. Außerdem wurde das Sortiment auf Nachthemden, Pyjamas, Morgenröcke und Kaftans erweitert. Johann Ludwig: „Auch das ist uns hervorragend gelungen. Wir waren der erste österreichische Wäsche- und Homewear-Hersteller, der britische Department Stores wie Fortnum & Mason, Debenham, White House und Harrod’s beliefert hat – und der in Editorials der britischen Vogue und Harper’s Bazaar präsentiert wurde. “

1966 wurde ein Einkaufsbüro in der Rue de la Paix in Paris eröffnet. Dort legten Produzenten aus Lyon ihre Stoffe vor. Lyon war damals das Zentrum der Seidenweberei. Die Stoffe, Spitzen und Stickereien wurden exklusiv gefärbt. Ludwig: „Es waren vor allem die Araber, die Farben verlangt haben.“

Kaftanmodell der Firma Rositta in Wien

Der Kaftan war seit den 1970er Jahren im Sortiment und entwickelte sich zum Klassiker © Rositta

Der Kaftan

Neben der Expertise für Blusen und Damenwäsche entwickelte Johann Ludwig in den 1070-er Jahren eine Expertise für den Kaftan. Er entwickelte eine Schnitttechnik, die verhindert, dass das Vorderteil an der Schulterlinie nach hinten rutscht. Wie, das bleibt sein Geheimnis. Inspiriert hat ihn ein Aufenthalt im italienischen Urlaubsort Capri, in dem die Damen rund um die Uhr Kaftans trugen; untertags Modelle in Baumwolle und Abends Modelle in Seide. Ludwig: „Wenn Sie damit durch die Via Camerelle gingen, wehten ihre Seidenkaftans wie schöne bunte Schmetterlinge“, erinnert er sich.

Die bedruckte Seide für Kaftans entwickelte er mit Spezialisten im italienischen Como. Mittlerweile hat der Digitaldruck das Verfahren gegenüber dem Schablonendruck vereinfacht, erklärt Ludwig. Die digitale Präzision ermöglicht eine Abstimmung von Dessin und dem Schnitt des Kaftans, d.h. der Druck kann exakt platziert werden.

Das exzellente Design der Rositta Modellwäsche blieb auch der Konkurrenz nicht verborgen. 1972 traf ein Brief mit einer Einladung zur Kooperation mit dem italienischen Luxuswäschehersteller La Perla ein. Johann Ludwig sollte fünf bis zehn exklusive Modelle für die Exportkollektion gestalten. Er lehnte ab, weil er darin einen Interessenskonflikt sah.

Geschäft der Firma Rositta in Wien

© Rositta

Exklusive Kunden

Rositta Modellwäsche wurde über die eigenen Geschäfte in Wien und Salzburg und – ab 1963 – auch in München verkauft. Neben der eigenen Kollektion waren Strümpfe, Höschen und Miederwaren renommierter Designer im Sortiment.

Johann Ludwig: „In den 1970er Jahren waren wir der größte Kunde von Dior Corseterie und Strümpfen in Europa.“

Die eigenen Geschäfte brachten ein erlesenes Publikum. Darunter Mitglieder des Königshauses von Qatar, die Königin Nūr al-Hussain von Jordanien, Königin Silvia von Schweden sowie die Opernsängerinnen Ljuba Welitsch (1913-1966), Renate Holm und Anna Netrebko. Auch Theo Lingen kaufte bei Rositta Modellwäsche für seine Frau. In München zählten Gloria von Thurn und Taxis und die Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek zu den Kunden. Kubitschek liebte Kaftans und ließ auch welche für ihre Filme anfertigen.

Johann Ludwig führte auch Auftragsarbeiten für die Wiener Staatsoper und die Salzburger Festspiele aus.

Mangelnde Nachfolge

Seine Eltern arbeiteten bis kurz vor deren Tod im Unternehmen mit. Der Vater starb 1990, die Mutter 2002. Nach dem Tod seiner 90-jährigen Mutter reduzierte Johann Ludwig die Exportaktivitäten, um sich stärker auf die eigenen Geschäfte zu konzentrieren. Auch er und seine Frau arbeiteten weit über das Pensionsalter hinaus.

Johann Ludwig: „Ich hatte das Glück eine Frau zu heiraten, die 40 Jahre mit mir in der Firma gearbeitet hat. Mit 75 beschlossen wir dann, uns zurückzuziehen und haben das Unternehmen aufgelöst.“

Ein Schritt, der ihm nicht leicht fiel. Seine beiden Töchter hatten sich in Medizin und Wirtschaft etabliert und das Atelier war in seiner Dimension unverkäuflich. An einen Konzern wollte er nicht verkaufen. Auch hatten sich im Zeitablauf die Rahmenbedingungen geändert. Viele Wäschegeschäfte in Deutschland waren geschlossen worden und hatten den Markt den Kaufhäusern überlassen. Johann Ludwig: „Ein Wäschegeschäft ist aufwändig. Wenn sie keinen Fachmann haben, der weiß, was auf Lager ist und welche Alternativen er anbieten kann, machen sie keinen Umsatz.“

Text: Hildegard Suntinger (04.10.2019)

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